Schwefelhexafluorid in Windenergie-Anlagen
Dass der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien im Allgemeinen und der Windenergie im Speziellen entscheidend sein wird, um die Treibhausgas-Emissionen Deutschlands gemäß des Pariser Klimaschutz-Abkommens zu senken, daran besteht kein Zweifel. Dass aber ausgerechnet diese emissionssenkende Eigenschaft der Windenergie im Beitrag des ARD-Politmagazins in Frage gestellt wird, klingt einigermaßen grotesk. Schuld sei das in Windenergie-Anlagen verwendete Isoliergas Schwefelhexafluorid, ein Treibhausgas, das in seiner Wirkung um ein Vielfaches stärker als Kohlenstoffdioxid (CO2) ist. Doch wie gravierend ist dieses Problem wirklich? Schaden Windräder dem Klimaschutz am Ende mehr als sie nutzen?
Was ist SF6?
Schwefelhexafluorid ist unter Normalbedingung ein farb- und geruchloses Gas. Es ist weder giftig noch brennbar und ist äußerst reaktionsträge. Diese Eigenschaft wird daher vor allem in der Mittel- und Hochspannungstechnik genutzt, um elektrische Schaltungen zu isolieren und um Lichtbögen zu verhindern. Doch neben dieser perfekten Isolationswirkung hat das Gas auch eine äußerst negative Eigenschaft, vor allem wenn es entweicht. Denn wie alle fluorierten Gase ist SF6 extrem klimaschädlich. Es gilt als die Substanz mit der stärksten Treibhauswirkung. In Zahlen ausgedrückt: Ein Kilogramm SF6 wirkt rund 22.800 mal so stark wie ein Kilo Kohlenstoffdioxid. Zudem beträgt seine Verweildauer in der Atmosphäre mehr als 3.000 Jahre.
Aus diesem Grund wird das Gas überwiegend innerhalb geschlossener und kompakt konstruierter Systeme eingesetzt und im Normalbetrieb auch nicht freigesetzt. Das Bundesministeriums für Umwelt, Verbraucherschutz und nukleare Sicherheit (BMU) beziffert das Risiko einer Leckage bei sachgerechter Wartung und Entsorgung auf weniger als 0,1 Prozent pro Jahr. Und dennoch reichert sich das Gas weiter in der Atmosphäre an – obwohl die SF6-Emissionen aus elektrischen Betriebsmitteln in Deutschland signifikant gesunken sind. haben .
Was hat SF6 mit Windenergie zu tun?
Bis seine extrem negativen Auswirkungen auf das Klima bekannt wurden, wurde SF6 in zahlreichen Prozessen eingesetzt: Bei der Gewinnung von Magnesium oder in der Halbleitertechnologie, es fand sich als Füllgas in Autoreifen, als Trennschicht in Schallschutzglasscheiben und in den Sohlen von Turnschuhen. Aus ökologischen Gründen ist der Einsatz bei den drei letzteren Anwendungen inzwischen verboten.
Aber auch in den Mittelspannungs-Anlagen von Windenergie-Anlagen kommt SF6 als Lichtbogenlöschgas zum Einsatz, wenngleich mit knapp drei Kilogramm in vergleichsweiser geringer Menge. Ein Umspannwerk etwa enthält mehrere Tonnen des Gases. In der Regel verbleibt es aber an Ort und Stelle. Zudem sind den Herstellern dieser Anlagen beim Befüllen, Betreiben und Recycling hohe Standards gesetzt, um ein Entweichen des Gases in die Atmosphäre zu verhindern. Leckagen können aber natürlich nie vollständig ausgeschlossen werden.
Und nun? Also doch Klimakiller Windrad? Mitnichten. Denn das Umweltbundesamt rückt einen ganz anderen Verursacher in Zentrum, als es die Redakteure des ARD-Beitrags getan haben: Schallschutzverglasungen. Denn hier entweicht das Gas beim Entsorgen völlig ungehindert und in großen Mengen. SF6 ist demnach kein vorrangiges Problem der Windenergie. Und dennoch muss im Sinne des Klimaschutzes nach Alternativen gesucht werden.
Alternativen zu SF6
Im Bereich der Mittel- und Hochspannungs-Anlagen gibt es bereits erste Ersatzlösungen am Markt. Je nach Einsatzgebiet können dies vollkommen luftisolierte Schaltanlagen oder Anlagen mit alternativen Isoliermedien wie beispielsweise Feststoffen, Flüssigkeiten oder anderen fluorierten Gasen beziehungsweise Gasgemischen sein. Zudem forschen die Anlagenhersteller nach Möglichkeiten, um den Zeitraum bis zur Ablösung von SF6 so kurz wie möglich zu halten. Druck kommt zusätzlich von Seiten der Europäischen Union. Ein erster Richtlinienentwurf sieht das Aus für SF6 ab dem Jahr 2030 vor. Bis dahin wirkt die Selbstverpflichtung der Energiebranche aus dem Jahr 2005, die Produktion und den Einsatz von SF6 zu reduzieren. Bislang war diese Strategie recht erfolgreich. So konnten die SF6-Emissionen von 50 metrischen Tonnen im Jahr 1998 auf unter zehn metrische Tonnen im Jahr 2020 gedrückt werden.
Und was, wenn doch der gesamte SF6-Inhalt einer Windenergie-Anlage entweichen sollte? Der Physiker und Umweltwissenschaftler Stefan Holzheu, rechnet in einer Twitter-Diskussion vor, dass selbst dann, wenn die drei Kilogramm SF6 einer Windkraft-Anlage vollständig entweichen würden, aufs Jahr gerechnet eine Klimabelastung von 3,4 Tonnen CO2-Äquivalenten entstünde, die immer noch den 10.000 Tonnen CO2 gegenübersteht, die sie im selben Zeitraum vermeidet. Als Schützenhilfe gegen den Ausbau der Windenergie eignet sich das Thema SF6 also nur bedingt.