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Worum geht es?

Interview zur Seismologie: „Pauschale Abstände behindern den Klimaschutz.“

Wie individuelle Lösungen das Nebeneinander von Windenergieanlagen und seismologischen Messstationen ermöglichen können.
Astrid Stork

Am Standort Simmerath, rund 30 Kilometer südöstlich von Aachen, hat JUWI in diesen Tagen für die STAWAG zwei Windräder vom Typ Vestas V150 mit jeweils 5,6 Megawatt Nennleistung errichtet. Während der Planungsphase musste das Team von Projektingenieuren dabei eine neue Aufgabenstellung meistern: „Stören Windenergieanlagen seismologische Messstationen in der Nähe?“ Wir sprachen mit der Projektentwicklungsexpertin Astrid Stork von JUWI über diese Herausforderung - und wie JUWI dank seiner langjährigen Erfahrung eine Lösung herbeiführen konnte.

Worum geht es bei dieser Fragestellung denn genau?
Astrid Stork: Betreiber von seismologischen Messstationen äußern immer öfter die Sorge, dass es durch den Betrieb von Windrädern in der Nähe einer Messstation zu störenden Erschütterungen im Unterboden kommt, so dass die sensiblen Messgeräte keine verlässlichen Ergebnisse mehr liefern können. In der Folge diskutieren wir nun mit Genehmigungsbehörden darüber, ob man pauschale Abstände zu Messstationen einhalten muss, oder ob es individuelle Lösungen geben kann. 

Wie groß sind diese Störungen?
Astrid Stork: Das hängt von vielen Faktoren ab: vom Typ der Windenergieanlage, von der Beschaffenheit des Unterbodens und auch von der Art der Messstation. Deshalb erscheint es uns auch nicht angemessen zu sein, pauschal Mindestabstände vorzugeben. Die können zudem auch noch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein. Im ungünstigsten Fall sprechen wir derzeit von bis zu zehn Kilometern. Wenn das Standard wäre, würden wir allein bei JUWI einige hundert Megawatt derzeit aus der Planungsphase streichen müssen. Das kann auf dem Weg zu mehr Klimaschutz nicht das Ziel sein. 

Wie könnte eine individuelle Lösung aussehen?
Astrid Stork: Beim Projekt in Simmerath haben wir ein Einzelfall-Gutachten anfertigen lassen. Das zeigt uns dann unter anderem die Größe der Störungen für die konkrete Anlage am konkreten Standort, und nennt Möglichkeiten, wie sich dort weiterhin seismologische Messungen zuverlässig durchführen lassen. In diesem Fall haben wir zum Beispiel eine Kompensationsanlage errichtet, die künftig unterirdisch in einer Tiefe von rund 200 Metern misst. Dabei wird diese neue Messstation zusätzlich in den Verbund der Messstationen aufgenommen.

Das klingt nach viel Aufwand und hohen Kosten…
Astrid Stork: In der Tat. Allein das Gutachten kostet rund 20.000 Euro und dauert bis zu einem halben Jahr. Wenn die Lösung dann eine unterirdische Kompensationsanlage ist, dann kommen noch einmal rund 250.000 Euro dazu – abhängig von der Bohrlochtiefe - bei oberirdischen Anlagen sind es „nur“ 50.000 bis 60.000 Euro. 

Und wer zahlt das?
Astrid Stork: Eigentlich wäre es Aufgabe des jeweiligen Messstationsbetreibers, die Störung nachzuweisen. Wir fürchten allerdings, dass das dann unter Umständen sehr lange dauern kann. Deshalb drehen wir notgedrungen die „Beweislast“ um. Das heißt, wir weisen nach, dass die Störungen vertretbar sind und zahlen auch das ganze Verfahren mit allem, was dazu gehört; inkl. der Kompensationsanlage.

Gibt es noch weitere Lösungsansätze für dieses Problem?
Astrid Stork: Zusammen mit verschiedenen Forschungseinrichtungen und Hochschulen beteiligen wir uns gerade an dem Projekt „dBMISS“. Ziel ist es, einen sogenannten „DeNoiser“ zu entwickeln, also einen technischen Rauschfilter, der dann die Auswertung der seismologischen Messungen weiterhin ermöglicht, dabei aber die Störungen der jeweiligen Windräder berücksichtigen kann. Wir sind zuversichtlich, dass wir da schon bald brauchbare Ergebnisse haben werden. Das System ist KI basiert und selbstlernend, braucht dafür aber natürlich sehr viele Daten. Wir hoffen dennoch, dass diese Systeme schon bald bei den zuständigen Behörden wie dem Geologischen Diensten zum Einsatz kommen. Das spart sicher Zeit und Geld – und das wollen wir doch: Schnelle Genehmigungsverfahren und weniger Bürokratie.

Erkennen die Behörden diese Lösungsansätze an?
Astrid Stork: Im Fall Simmerath hat der Geologische Dienst nach anfänglichen Bedenken sowohl der Kompensationslösung als auch der dBMISS-Studie zugestimmt. Wir sehen hier eindeutig das Bemühen und die Bereitschaft, vernünftige Lösungen zu finden. Das ist ein sehr positives Signal, denn mancherorts in Nordrhein-Westfalen und auch in Rheinland-Pfalz scheint das pragmatische und zielorientierte Zusammenspiel von Windkraft und Landeserdbebendienst noch etwas mehr ausgelebt werden zu müssen. Das Beispiel Simmerath zeigt, dass die Entwicklung aber nun doch langsam in die richtige Richtung geht.

Zur Person:
Astrid Stork ist im Team der Projektentwicklungsexpert*innen bei JUWI unter anderem für Fragestellungen aus den Bereichen Luftverkehr, Radar, Seismologie und Kennzeichnung zuständig. Die Diplom-Geographin ist seit 2011 bei JUWI.